Autismus-Diagnose – und nun?

Ich habe dieses Jahr mit 41 Jahren die Diagnose Autismus Spektrum Störung erhalten – also sehr spät in meinem Leben. Ich habe die Jahrzehnte davor ein vermeintlich „normales“ neurotisches Leben geführt und mich im Stillen über meine ständigen Herausforderungen gewundert, bzw. schwer damit gekämpft. Jetzt habe ich endlich eine Erklärung. Was passiert jetzt aber, sobald man als erwachsene Person plötzlich diese Diagnose bekommt? In diesem Artikel möchte ich auf die verschiedenen „organisatorischen“ Schritte eingehen, mit denen ich mich nach der Diagnose beschäftige. Die Liste ist noch lange nicht umfänglich, hilft aber vielleicht der einen oder anderen Person dabei selber zu ordnen, was nun auf einen zukommt.

Denn leider bekommt man meines Wissens nach keine Anleitung in die Hand gedrückt „10 Dinge, die Du nach Deiner Diagnose tun solltest“.

Wichtig: Ich bin keine Medizinerin sondern teile einfach meine ganz persönlichen Erfahrungen. Für andere Personen in einem anderen Umfeld kann das nochmal anders aussehen. Mein Ziel ist es, mit meinem Artikel eine erste Orientierung zu geben, weil vieles davon war mir vorher auch nicht so bewusst, bzw. ich musste mir selber diese Infos nach und nach erarbeiten, bzw. selber erleben.

Also fangen wir an. Bei mir ging es damit los, dass ich bei meinem Psychologen weitere Termine erhalten hatte. Einmal, um die konkrete/n Diagnose/n zu besprechen, auf meine Fragen einzugehen und klassisch gesprochen mit der Psychoedukation zu beginnen. Das heißt, dass Du von Deinem Arzt/Psychiater/Psychologe genau erklärt bekommst, mit welchen Herausforderungen die Diagnose einherkommt. Es werden Themen wie Reizüberflutung, Stressoren, Schwierigkeiten in der Kommunikation usw. besprochen. Zum Großteil sind das eigentlich schon genau die Punkte, weswegen ich die Diagnose gesucht habe. Hier wird es dann halt nochmal wissenschaftlich fundiert in den Zusammenhang mit der Diagnose gebracht.

Als nächster Schritt wurde ich dann gefragt, ob ich eine erste Therapie bei meinem Psychologen starten möchte. Ich bin nicht daran gebunden gewesen bei ihm dafür zu bleiben, ich hätte mich auch an andere Stellen wenden können. Da ich aber nicht nochmal jemand Neues dafür suchen wollte, entschied ich mich, bei ihm zu bleiben und eine Therapie zu starten. Dazu musste ich ein Formular von meinem Hausarzt ausfüllen lassen, was dann zur Krankenkasse geschickt wurde, die die Therapie dann genehmigt. Wichtig dabei war, dass er mir auch gesagt hat, dass es in der Therapie nicht darum geht, meinen Autismus „zu heilen“. Das geht ja schlicht und einfach nicht. Stattdessen ist das Ziel dieser ersten Therapie den eigenen internalisierten Ableismus zu erkennen und damit umgehen zu können. Hilfestellungen zu erarbeiten und im Großen und Ganzen meinen Autismus zu akzeptieren und ihm in meinem Leben auch einen Platz zu geben. Da ja das ständige Verstecken – Maskieren – mir jede Menge Probleme bereitet hat. In diesen Terminen lerne ich also aktuell, welche negativen Gedankenmuster ich durch das fehlende Wissen entwickelt habe und stattdessen besser mit mir umzugehen. Auch lerne ich Warnsignale zu erkennen und wie ich darauf reagieren kann. Was mir übrigens zu Beginn sehr geholfen hat war, dass ich meinem Therapeuten klar gesagt habe (bzw. ich habe ihm einen Brief geschrieben), dass ich mit rein mündlichen Aufgabenstellungen usw. wenig anfangen kann. Das hat nun zur Konsequenz, dass er jede Stunde auch schriftliche Unterlagen für mich hat. Du darfst und sollst also auch im Rahmen einer Therapie sagen, was Dir hilft und nicht stumm das akzeptieren, was Dir gegeben wird. Jede autistische Person ist anders und so dürfen wir auch nach unterschiedlichen Hilfestellungen fragen. Zu Start der Therapie wurden konkrete Ziele festgelegt, die ich bei den Terminen immer im Blick habe. Die Therapie ist ein ganz guter Startpunkt. Ich merke zwar auch, wie ich oft ungeduldig werde oder genervt bin von Aufgabenstellungen, da ich sehr viel von der reinen Logik schon lange weiß – für die Umsetzung ist das dann aber ein ganz guter Tritt in den Hintern (Rw).

Zusätzlich zur Therapie habe ich dann auch Kontakt zum regionalen Autismus Zentrum aufgenommen. Um genau zu sein zur daran angeschlossenen beruflichen Beratung- und Integrationsstelle. Ich bin zwar in einer Festanstellung, habe aber durch mein langes Maskieren feststellen müssen, dass ich im beruflichen Kontext etwas ändern muss, damit es mir langfristig auch guttut zu arbeiten. Ich hatte Glück, dass ich schnell mit einer Ansprechpartnerin dort reden konnte – sogar passend nach meinen Kommunikationsbedürfnissen – und in einigen Terminen konkrete Unterstützung erhalten habe. Da habe ich dann erfahren, dass sie mich bei der Offenlegung meiner Diagnose im beruflichen Kontext unterstützen kann. Sie kann an Terminen mit dem Arbeitgeber teilnehmen – alleine oder mit mir zusammen. Vor allem werden konkrete und sehr emphatische Denkanstöße und Unterstützungen gegeben, wie ich einen für mich passenden Weg finden kann. Nach all den Jahren des ewigen Zusammenreißens sagt mir hier das erste mal jemand, dass es gut und absolut angebracht ist, um Unterstützung zu bitten. Dass ich Grenzen zeigen darf – so trivial das klingen mag. Auch wurde viel getan, mir meine existenziellen Ängste in Bezug zur Offenlegung im beruflichen Kontext etwas zu nehmen. Denn ich habe definitiv Angst, dass ich nach Bekanntgabe einfach gekündigt werde, weil ich ja nicht mehr „ausreichend funktioniere“. Obwohl ich ja extrem viel Fachwissen und Expertise mitbringe.

Was ich nämlich auch nicht so recht wusste: alleine durch meine Diagnose bin ich im beruflichen Kontext noch nicht unbedingt geschützt. Ich erhalte zwar von betreffenden Beratungsstellen Support, bin aktuell aber darauf angewiesen, dass mein Arbeitgeber auch darauf eingehen will. Einen Kündigungsschutz oder mehr Urlaub steht mir nicht zu – erst wenn ich offiziell einen Grad der Behinderung (GdB) anerkannt bekomme. Und, Überraschung, den bekommt man ja nicht einfach so. Stattdessen muss ich natürlich erst einen Antrag einreichen. Das nennt sich dann Feststellungsverfahren. Erste Infos dazu findest Du hier. Dazu muss ich z.B. meinen Arzt von der Schweigepflicht befreien oder am besten Unterlagen zusammenstellen, die belegen, dass ich durch meine Diagnose/n an der täglichen Teilhabe behindert werde. Und man bekommt den Grad auch nicht unbedingt dauerhaft anerkannt, sondern muss je nachdem auch eine Verlängerung beantragen. Da sind wir in Deutschland echt mal wieder viel zu bürokratisch. Der Weg zur Diagnose war echt schon schwer genug und es geht mir aktuell mental nicht unbedingt so super – da fehlt dann in meinem Fall gerade die Energie die nächste bürokratische Hürde zu nehmen. Es kann nämlich auch sein, dass Dein Antrag erst abgelehnt wird oder Du zu niedrig eingestuft wirst. Und dann muss man Einspruch einlegen. Mal abgesehen davon, dass der Prozess auch wieder einige Monate dauern kann. Und dann erst mit dem GdB von 50 (= schwerbehindert) stehen mir auf der Arbeit weitere Nachteilsausgleiche wie mehr Urlaub oder ein besonderer Kündigungsschutz zu. Solltest Du nur einen GdB zwischen 30 und 50 haben, kannst Du jedoch eine Gleichstellung beantragen. Dann gibt es in dem Fall trotzdem den erweiterten Kündigungsschutz. Hier findest Du mehr Infos speziell zur Gleichstellung.

Eine Richtlinie, welcher Grad der Behinderung bei Autist*innen gegeben werden kann, sieht folgendermaßen aus:

  • ohne soziale Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdS 10-20,
  • mit leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdS 30-40,
  • mit mittleren sozialen Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdS 50-70, 
  • mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdS 80-100.

Wobei ja eigentlich die Autismus-Diganose im Grunde ja nur gegeben wird, wenn ja deutliche Anpassungsschwierigkeiten und Probleme vorhanden sind. Insofern ist meiner Meinung nach ein Grad von 10 bis 20 dann eigentlich komplett sinnlos. Weil dann hätte ich nach dieser Definition ja auch keine Diagnose erhalten.

Eine gute Anlaufstelle, die Dich bei dem Thema GdB unterstützen kann ist übrigens der VdK. Sie helfen entweder bei der Antragstellung oder geben Support im Falle eines Widerspruchs oder zu gering angesetzten GdB. Dazu solltest Du Mitglied werden (kostet nicht so viel). Was hilfreich ist: möchtest Du den Prozess so schnell wie möglich anstoßen, gibt es auch die Option, dass Du rückwirkend die Beiträge für 6 Monate zahlst, weil Du so lange Mitglied sein musst für die Antrags-Unterstützung. Ich bin nun seit August Mitglied des regionalen VdKs.

Insgesamt ist das also ein erster Überblick über die nächsten Schritte nach einer Autismus-Diagnose im Erwachsenenalter. Ich bin selber noch mitten im Prozess und es ergeben sich immer neue Informationen. Somit werde ich denke ich auch immer mal wieder Updates dazu hier veröffentlichen. Gibt es aus Eurer Erfahrung auch noch weitere, eher bürokratische Schritte, die nach der Diagnose angegangen werden sollten? Dann teilt sie gerne in den Kommentaren. Und in einem weiteren Artikel werde ich dann darüber schreiben, was die Diagnose selber in mir ausgelöst hat und wie ich damit umgehe. Oder welche Lese-Empfehlungen ich geben kann. Denn Bücher verschlinge (Rw) ich absolut zu dem Thema.


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