Ich hab mittlerweile Beiträge dazu geschrieben, warum ich eine offizielle Diagnose gesucht habe, wie es aktuell danach weitergeht, … aber eigentlich hab ich nicht so richtig den Weg von davor beschrieben. Also der Weg zur offiziellen Diagnose. Wobei ich aber nochmal betonen möchte, dass ich einer gut recherchierten Selbstdiagnose auf jeden Fall positiv gegenüberstehe und absolut verstehe, dass nicht jeder eine offizielle Diagnose sucht oder will.
Aber kommen wir zurück zum Thema: wie bin ich nun vorgegangen, damit ich dieses Jahr im April meine offizielle Autismusdiagnose erhalten habe?
Disclaimer: Ich bin keine „offizielle Fachexpertin“, Ärztin, Therapeutin oder Psychologin. Ich schreibe hier von meinen persönlichen Erfahrungen und meinem persönlichen Weg. Der kann für andere Personen nochmal anders aussehen. Ich möchte lediglich eine Hilfestellung und grobe Anleitung geben, wie ein Weg für Spätdiagnostizierte Autist*innen aussehen kann. Und ich nenne hier auch keine konkreten Namen oder Praxen und meine Geschichte ist auch etwas gekürzt, damit sie noch lesbar bleibt.
TW: Depression, Mobbing, Medical Gaslighting, fehlende Unterstützung durch Hausarzt und fehlendes Wissen bei Therapeuten
Also, beginnen wir in 2021. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon eine eher oberflächliche Selbstdiagnose gestellt und konnte mich mit Autismus identifizieren. Zumindest insofern, dass ich aus Berichten anderer Autist*innen extrem viele gleiche Erfahrungen und Beschreibung bei mir erkennen konnte. Anfang 2021 steckte ich tief in einer beruflichen Krise. Im beruflichen Umfeld war ich leider bereits seit 2 Jahren immer stärkeren Mobbing ausgesetzt. Und das leider nicht zum ersten Mal im Arbeitsleben. Ich war sehr unglücklich und merkte, dass es mir mental immer schlechter ging. Ich erkannte Anzeichen für eine Depression bei mir – für die ich ganz klar die Arbeit bzw. die Arbeitsbedingungen als Auslöser ausmachen konnte. Ich hatte aber auch die Vermutung, dass meine Andersartigkeit der Hintergrund für das immer wiederkehrende Mobbing sein könnte – außer natürlich den nicht so netten Menschen, die mich als ihr Mobbing-Opfer auserkoren hatten. Ich kam also zum Schluss, dass ich so langsam eine offizielle Bestätigung brauche, was denn nun so anders an mir ist. Damit ich u.a. Menschen, die mit meiner Andersartigkeit nicht klarkommen und mich deswegen schlecht behandeln, offen ihre ableistischen und niederen Verhaltensweisen spiegeln kann.
Die Suche nach einem Therapie- oder Diagnoseplatz
Ich war etwas ratlos. Wo fange ich an? Ich wusste nicht, ob ich zuerst das Thema der akuten Depression oder direkt das der Diagnose angehen sollte. Oder beides zusammen? Kein Plan… Ich startete also damit, dass ich mehr oder weniger sämtliche Autismus-Screening Tests durchführte, die ich im Internet fand. Teilweise auch auf offiziellen Webseiten. Alle bestätigten, dass ich eine Diagnose offiziell abklären lassen sollte. Ich begann also das Internet nach Anlaufstellen zu durchsuchen und fand vereinzelt Autismus-Kliniken. Leider alle weit weg von mir – ich wohne ja sehr ländlich. Ich schrieb die ersten Kliniken an. und erhielt nur Absagen. Immer wohnte ich zu weit weg von einem Einzugsgebiet. Ja super, wenn es nix wirklich in meinem Einzugsgebiet gibt, was für Erwachsene gedacht ist. Es sollte eine Klinik im meinem Bundesland geben, die kontaktierte ich dann. Dort bekam ich jedoch die Antwort, dass im Vorfeld eine fachärztliche Beurteilung erfolgen müsste, d. h. eine (telefonische oder schriftliche) Stellungnahme von einem Psychiater oder Psychotherapeuten.
Ok – versuchte ich also da Termine zu erhalten. Ich erhielt aber bei keinem einzigen Psychiater einen Termin – auch nicht, als ich es über den Service der Krankenkasse probiert hatte. Es kam nur ein „tut uns Leid, es sind leider keine Termine in Ihrem Einzugsgebiet möglich“. Danke für nichts… Ich fragte meinen Hausarzt, ob er mir weiterhelfen könne. Er schüttelte nur den Kopf und vergaß dann auch noch die Überweisung für einen Facharzt auszustellen, die ich dann nochmal am Empfang einforderte. Gut – ich konnte sie ja eh nicht einlösen, da ich ja nur Terminabsagen bekam. Also versuchte ich weiter mir selber zu helfen. Ich fragte bei der Tagesklinik an, ob es keine Option gibt, bei einem Arzt im Haus einen ersten Termin zu erhalten, um das Problem mit der bisher nicht mögliche Facharztbeurteilung zu umgehen. Es kam keine Antwort mehr.
Ich muss dazu sagen, dass ich – wie so viele Autist*innen – große Probleme mit dem Telefonieren habe. Und da ich dazu in einer depressiven Phase war, hatte ich dazu erst recht kaum Energie. Also suchte ich weiter auf schriftlichem Wege.
Ich versuchte nun eher passende Therapeuten zu finden, um so vielleicht der Diagnose einen Schritt näher zu kommen. Da hatte ich übrigens auch noch nicht so das Verständnis, was denn nun die Unterschiede zwischen Therapeuten, Psychologen, Psychiatern oder Psychotherapeuten sind. Meine Suche war also wahrscheinlich etwas unkoordiniert. Ich kontaktierte also über 20 verschiedene Therapeuten in meiner Region. Der Großteil antwortete aber noch nicht mal. Diejenigen, die antworteten schrieben, dass sie zu lange Wartelisten hätten oder Aufnahmestopp. Ein einziger antwortete sehr emphatisch und lange und beteuerte wie leid ihm die Situation tue und dass er leider auch keinen Termin für mich hätte. Er schickte aber wenigstens noch weitere Informationen und Anlaufstellen für Hilfen. Nach bestimmt 2 Monaten Suche, fand ich dann den ersten Therapeuten, der spontan kurzfristig einen Ersttermin für mich hatte. Oh Wunder…
Ich hatte also einen Ersttermin bei einem Therapeuten. Ich ging also hin und versuchte meine Probleme, aktuelle Krise und Vermutung bzgl. Autismus zu schildern. Und ich hatte eine Sammelmappe mit all meinen Screeningstests dabei, um zu verdeutlichen, dass ich mir das nicht nur spontan mit der Diagnose überlegt habe. Aber die Reaktion des Therapeuten war sehr ernüchternd. „Autismus denke ich jetzt nicht wirklich. Sie können sich ja ganz normal mit mir unterhalten. Ne ne – wissen Sie, als ich studiert hab, da haben wir auch oft die Diagnosekritieren von allen möglichen Dingen gelesen und dann gedacht, dass wir das auch haben. Sie sind wahrscheinlich einfach zu emphatisch. Autismus – das kann bei ihnen denke ich nicht sein. Und ich habe ja jahrelange Erfahrung mit meiner Arbeit in der Klinik.“. Er wollte mir stattdessen einen möglichen Therapieplatz anbieten, um über meine Herausforderungen zu reden. Aber er wolle das nicht so negativ deklarieren und auch nicht so von Labeln reden. Er wolle lieber „positiver“ an Themen arbeiten – was auch immer das heißen sollte.
Unfassbar…
Nach dem Gespräch war ich ziemlich schockiert. Wie konnte eine „Fachperson“ so reagieren? Er hatte mich null ernst genommen und scheinbar auch nicht wirklich Wissen über das Autismus Spektrum. Obwohl er das ja ständig so betonte mit seiner Erfahrung in der Klinik-Arbeit. Ich war wütend und beschloss weiterzusuchen. Ich fand auch glücklicherweise eine Therapeutin, die mir ebenfalls einen Ersttermin anbot. Bis dahin dauerte es zwar noch etwas, aber zumindest machte sie einen netten Eindruck. Nach etwas Wartezeit hatte ich also meinen ersten Termin bei ihr und schilderte meine Problematik wie bei Therapeut Nummer 1. Und diesmal wurde ich ernstgenommen.
Die Therapeutin sagte mir, dass sie sich zwar nicht mit Autismus auskennen würde, aber meine Schilderungen ernst nimmt. Sie könne mir somit nicht bei der Diagnose helfen, würde mir aber anbieten, im Rahmen sogenannter probatorischer Sitzungen meine akuten Probleme im Arbeitsumfeld und damit einhergehende Depression vereinfacht anzugehen. Sie denke, dass mir die Sitzungen schon deutlich helfen könnten, um aus dem Loch zumindest etwas rauszukommen. Sie fragte, ob es für mich in Ordnung sei, dass ich keine Therapie bei ihr starte, damit ich weiter einen Therapeuten suchen könne, der sich mit Autismus auskenne. Außerdem könnte ich so gezielt bei einem anderen Therapeuten auch eine zielgerichtete Therapie starten – wogegen sie mir dann jetzt eher akute Hilfe gegen die depressive Phase und den drohenden Burnout geben könne. Ich stimmte zu und arbeitete in den probatorischen Sitzungen dann an möglichen Hilfestellungen für die akute Krise. Parallel suchte ich weiter nach einer passenden Diagnosestelle.
Es wurde Herbst und ich hatte zwischenzeitlich einen Tiefpunkt erreicht. Das Mobbing hielt weiter an, ich wurde immer depressiver. Ich schaffte es aber endlich eine neue Anstellung zu finden, die ich im Januar beginnen sollte. Die berufliche Krise löste sich also so langsam auf und mental ging es bergauf. Über weitere Recherchen hatte ich dann am 25.9. eine Privatpraxis in Köln gefunden, in der ich eine Diagnose angehen könnte. Ich schrieb kurz vor Mitternacht eine Mail und erhielt überraschend Antwort. Eine Diagnose sei möglich, würde jedoch auf private Kosten gehen und ich müsste zum 1.10. nochmal eine Mail schreiben, weil die Praxis dann ihre Warteliste wieder öffne. Also schrieb ich am 1.10. direkt nach Mitternacht die nächste Mail und bekam eine Zusage für einen Diagnosetermin im April in Köln. Ich solle zu zwei Terminen kommen und davor noch Fragebögen ausfüllen, die mir mitschickt wurden. Zwar würde das nun recht teuer für mich werden, aber wenigstens war eine erste Option in Sicht – in „nur“ einem halben Jahr. Evtl. könne auch die Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenkassen klappen. Dazu wurde mir auch noch ein Dokument zur Info geschickt.
Der finale Diagnoseplatz
Ungefähr zur gleichen Zeit hatte ich aber auch über das regionale Autismuszentrum einen Psychologischen Psychotherapeuten empfohlen bekommen, der ebenfalls die Diagnostik durchführen würde. Ich schrieb ihn also auch an und erhielt Ende September die Info, dass er keine Warteliste habe und niemanden zur Zeit aufnehmen würde. Ich könnte mich aber zu Jahresbeginn wieder bei ihm melden. Ich nutzte die Zeit bis Januar bzw. April dann erst mal intensiv, um mir einen Ordner zu erstellen, in dem ich zusammenfasste, weswegen ich die Diagnose eigentlich suche. Im Englischsprachigen Raum wird das oft auch „Autism Binder“ genannt. Folgendes habe ich alles darin zusammengestellt:
- Kopie meiner Grundschulzeugnisse (mit den textlichen Angaben zu mir und meinem Verhalten)
- Fotos aus meiner Kindheit – vermehrt mit Blick auf die Zeit, wo ich 4 bis 6 Jahre alt war
- Eine Auflistung von meinen eigenen Eindrücken, Erfahrungen und Auffälligkeiten, basierend auf den offiziellen ICD 10-Diagnosekriterien
- Meine eigenen Beschreibungen von Situationen, die man als Meltdown, Shutdown, autistischer Burnout, Stimming o.ä. einordnen könnte
- Eine Historie von Problemen im zwischenmenschlichen Kontext (privat und beruflich) anhand von konkreten Beispielen
Videos aus meiner Kindheit habe ich leider keine mehr so schnell gefunden, bzw. sind keine digitalisiert. Würde aber auch eine gute Ergänzung sein. Auch wenn so ein Ordner später nicht groß zum Einsatz kommen sollte in den Diagnostikterminen, hilft es auf jeden Fall ungemein, selber einmal all diese Punkte auszuformulieren und für sich selber festzuhalten. Denn so konnte ich bspw. in den Diagnostikterminen auch besser konkrete Fragen beantworten. Das hat auch nichts mit Schummeln zu tun – man stellt ja lediglich eine Übersicht über die eigenen Erinnerungen und Erfahrungen zusammen. Denn Erinnerungen sind auch nicht immer unbedingt auf Knopfdruck abrufbar oder gar formulierbar. Ich kann mich beispielsweise an viele Dinge in meiner Kindheit oder Jugend nicht erinnern und die intensive Vorbereitung inklusive Recherche in alten Tagebüchern, Gesprächen mit Eltern und Schwester usw. hat mir auf jeden Fall geholfen.
Anfang Januar meldete ich mich dann bei dem regionalen Psychotherapeuten. Er schickte mir daraufhin erstmal einen großen Umschlag voll mit verschiedenen Fragebögen, die ich und eine enge Bezugsperson aus meiner Kindheit ausfüllen sollte. Was bei mir mit 40 Jahren dann natürlich nicht ganz so leicht war. Ich versuchte also die Fragen von meiner älteren Schwester, Patentante und Mutter gemeinsam ausfüllen zu lassen, da leider die Erinnerungen der einzelnen Personen nicht mehr ganz so gut war. Die Bögen schickte ich dann an ihn zurück und bekam dann auch tatsächlich zum 16. Februar einen Termin in der Praxis. Ich bekam bestätigt, dass die Ergebnisse schon auf autistische Merkmale hindeuten würden und wir somit die Diagnostik beginnen könnten. Somit sagte ich den Termin in Köln rechtzeitig ab, um jemand anderes die Chance auf einen Diagnoseplatz zu geben.
Ich hatte dann über den Zeitraum von 2 Monaten mehrere Termine, in denen teilweise Fragen aus den Bögen nochmal näher besprochen wurden und ich meine Problematiken näher schilderte. Abschließend folgten noch ein Test, wo es um die Emotionserkennung in Fotos ging, meine Schwester wurde telefonisch zu meiner Kindheit befragt und ich absolvierte den sogenannten ADOS Modul 4. In diesem Termin wurde ich aufgezeichnet, da die Auswertung auch ein*e weitere Kolleg*in mit begutachtete. Zum Inhalt des ADOS selber möchte ich hier nicht groß etwas erzählen. Nur soviel, dass ich denke, dass dieser Test, der gerne als Goldstandard bezeichnet wird, aus meiner Sicht gerade für ältere Erwachsene wie mich ganz dringend überarbeitet werden müsste. Denn man kommt sich schon teilweise echt blöd vor, wenn man Dinge machen soll, wo man merkt, dass sie eher an Kinder oder Jugendliche als Zielgruppe ausgerichtet wurden. Und es gab übrigens auch schon wissenschaftliche Untersuchungen, die annehmen, dass für Frauen der sogenannte Cut off Wert des ADOS niedriger angesetzt werden sollte, da sie eher besser im Maskieren sind. Aber das ist nochmal eine ganz andere Geschichte.
Naja – und Anfang April hatte ich dann meine offizielle Diagnose inklusive Gutachten. Der Weg zur Diagnose war geschafft und ein neuer Weg wurde gestartet. Ich wünsche Dir auf jeden Fall ganz viel Kraft für Deinen eigenen Weg.
Ich möchte auf meiner Seite nun nach und nach auch eine Sammlung an möglichen Anlaufstellen veröffentlichen. Das macht die Suche für Dich vielleicht einfacher. Insgesamt kann ich zumindest sagen, dass mir die Nachfrage beim regionalen Autismus Zentrum am meisten gebracht hat.
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