Ich habe erst vor kurzem meine Autismus-Diagnose erhalten und bisher nur sehr wenigen Menschen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis davon erzählt. Bisher habe ich ein paar verschiedene Reaktionen unter diesen Personen feststellen können:
- Unterstützung
- Mitleid
- Wut
- Ghosting
Manche wollen Dich voll und ganz unterstützen und hören Dir zu. Andere reagieren plötzlich mit Mitleid: Das muss ja schlimm gewesen sein, wie ich mein Leben bisher erlebt habe. Äh, nein – es war vielleicht nicht leicht, aber ich dachte halt, dass das normal sei oder dass ich mich eben zu sehr anstelle und einfach mal zusammenreißen muss. Mitleid brauche ich dafür nicht. Die beiden Kategorien sind aber zumindest halbwegs positiv – es ist eine positive Grundstimmung zu erkennen und ich habe das Gefühl, dass ich genauso angenommen werde wie ich bin und dass ehrliches Interesse auf der Gegenseite vorhanden ist.
Leider habe ich bei den wenigen Menschen, denen ich mich mitgeteilt habe, auch durchaus negatives Verhalten erlebt, was sehr verletzend sein kann. Da kann es sein, dass jemand zwar nach mir und meiner Diagnose fragt – wenn ich aber davon berichte, herrscht plötzlich Stille auf der anderen Seite. Das Thema wird möglichst nicht mehr angesprochen – totgeschwiegen. Versuche ich trotzdem weiter davon zu reden, wird teilweise scheinbar sogar mit Wut reagiert. Als sei es jetzt doch mal gut und ich solle mich nicht zu sehr darin verrennen. Es wird mit einem beschwichtigenden „Ok, Du hast jetzt Deine Diagnose – aber das ist ja nicht Deine Persönlichkeit. Du bist und bleibst für mich immer die gleiche Person“.
Für mich fühlt sich das aber ganz und gar nicht so an. Für mich ist die Diagnose ein endlich gefundener Teil meiner Persönlichkeit. Denn ich habe nicht Autismus – ich bin autistisch. Ich kann das nicht ablegen wie eine Handtasche. Denn ich bin rund um die Uhr, jeden Tag im Jahr, jede Minute autistisch. Bisher hatte ich nur keinen Namen dafür. Das ist also sehr wohl ein Teil meiner Persönlichkeit. Und der ständige Versuch mir abzusprechen, dass das ein Persönlichkeitsmerkmal von mir ist, ist jedes Mal eine tiefe Verletzung. Denn ich habe diesen Teil von mir ein Leben lang unterdrückt. Versteckt. Und jetzt sagt man mir, dass ich doch auch einfach so wie bisher bleiben soll – bzw. in deren Augen immer so sein werde?
Das ist komplett falsch!
Durch meine Diagnose verstehe ich mich endlich, kann ungesunde Muster erkennen und aufbrechen und lerne, wie ich meinen Autismus nach und nach demaskieren kann. Also wie ich meine autistischen Züge zeigen kann, weil das ewige Verstecken mich krank macht. Außerdem lerne ich gerade erst wieder mich selber kennen. Denn durch mein ständiges Maskieren habe ich Mimik, Gestik, Kleidung, Stil, Verhalten und vieles mehr von anderen Menschen übernommen, weil es mich vermeintlich besser durch den Alltag gebracht hat. Ich muss erst mal verstehen, welche Teile meiner selbst nun wirklich auch zu mir gehören oder was ich einfach nur als Überlebensstrategie übernommen habe.
Dieses negative Verhalten, das mir von anderen entgegengebracht wird, hat aber noch eine weitere Stufe. Ghosting. Also dass ich plötzlich ignoriert werde. Man redet einfach nicht mehr mit mir. Bloß den Elefanten im Raum (Redewendung) nicht ansprechen…
So nehme ich also hin, dass es Menschen in meinem vermeintlich engeren Kreis gibt, die mit meiner Diagnose nicht klar kommen. Auch wenn ich sage, dass für mich die Diagnose das Beste ist, was mir passieren konnte. Denn ohne sie würde ich mich weiter in einer mentalen Spirale in den Abgrund befinden. Ich vermute einfach mal, dass solche Reaktionen weniger mit mir und mehr mit den betreffenden Personen selbst zu tun haben. Sie sind es, die sich nicht mit dem Thema befassen wollen oder können. Sie wollen ihr Bild von mir nicht ändern – vielleicht weil sie selber voller Vorurteile sind. Da nicht mit mir dazu gesprochen wird, kann ich das nur vermuten.
Was hat all das aber mit der Artikel-Überschrift zu tun? Nun – das Verhalten, dass ich mir am meisten wünsche ist, dass man mir einfach mal Fragen stellt. Das man mit mir darüber reden will. Dass man mehr über meine Probleme und den schwierigen Weg zu meiner Diagnose wissen will. Ich will kein Mitleid oder dass man mir sogar meine eigenen Erfahrungen abspricht. Ich will einfach nur Eure Fragen hören. Denn damit zeigt Ihr mir, dass Ihr Euch wirklich für mich, meine Gefühle und inneren Kämpfe interessiert.
Eure Schweigen dagegen verletzt mich nur…
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